Eine Gesamtvergabe ist nicht nur aufgrund eines objektiv zwingenden Grundes zulässig. Vielmehr können auch Umstände, welche die Maßnahme insgesamt betreffen eine Ausnahme vom Gebot der Losvergabe begründen. So kommt beispielsweise ein voraussichtlich hohes Risikopotential als Ausnahmetatbestand in Betracht. Das hat vor kurzem der Vergabesenat des OLG München entschieden. Das Gericht hat noch im Jahre 2015 einen sehr viel höheren Begründungsaufwand in Bezug auf jedes in Betracht kommende Fachgewerk gefordert.
GWB § 97 Abs. 4
Leitsatz
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren die umfassende Verbesserung der Sicherheitsanlagen in einer Justizvollzugsanstalt europaweit aus. Die elektrotechnischen Aufgaben gliederten sich in verschiedene Teilaufgaben. Die Maßnahmen umfassten u. a. die Erneuerung der Beleuchtung des Sicherheitsstreifens an der Anstaltsmauer, die technische Ausrüstung des Sicherheitszauns sowie weitere Sicherheitsmaßnahmen.
Ein Bieter rügte einen Verstoß gegen das Gebot der losweisen Vergabe und stellte einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer gab dem Antrag statt und berief sich auf die im Jahr 2015 ergangene Entscheidung des OLG München. Im aktuellen Beschwerdeverfahren hob das OLG München den Beschluss auf und wies den Nachprüfungsantrag zurück.
Die Entscheidung
Aufgrund der Besonderheiten des Projekts durfte der Auftraggeber davon absehen, die Teilaufgaben in Lose aufzuteilen. Der Senat stützt seine Begründung vor allem auf die besondere Sicherheitslage und die Gefährdung der Funktionsweise der Gesamtleistung. Die Nichtaufteilung einer Gesamtleistung erfordere eine eingehende Auseinandersetzung mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe.
Der Auftraggeber habe alle widerstreitenden Belange gegeneinander abzuwägen. Zuzubilligen sei dem Auftraggeber hierbei ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum, soweit komplexe projektbezogene Risikopotentiale bewertet werden. Allein die Komplexität des Beschaffungsgegenstandes, ein erhöhter Koordinierungsaufwand sowie drohende (Gewährleistungs-)Schnittstellen rechtfertigen für sich genommen nicht eine Gesamtvergabe. Allerdings habe der Auftraggeber konkret projektbezogen dargelegt, dass ohne eine Gefährdung der Funktionsweise der Gesamtleistung für die Einzelarbeiten der komplexen Sicherheitsanlage keine Fachlose gebildet werden konnten.
Praxistipp
Die Entscheidung des OLG München zeigt, wie schmal der Grat zwischen der Beschaffungsautonomie des Auftraggebers und dem Gebot der losweisen Vergabe verläuft. Das Gebot der losweisen Vergabe bedeutet nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. Setzt sich die Vergabestelle im Rahmen der Abwägung im Einzelnen mit dem Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen andererseits auseinander, ist ein erheblicher Beurteilungsspielraum eröffnet. Hier gilt: Die Dokumentation der tragenden Gründe ist mindestens so wichtig wie das Ergebnis.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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