Die unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien ergibt sich für einen Bieter nicht schon aus einer bloßen Lektüre der §§ 46 Abs. 3, 58 Abs. 2 VgV. Dementsprechend ist ein Bieter mit einer solchen Rüge nicht ohne weiteres präkludiert und sein Vorbringen in einem Vergabenachprüfungsverfahren regelmäßig zulässig. Zudem existiert kein generelles Doppelverwertungsverbot. So können berufliche Erfahrungen und Referenzen – personen- und unternehmensbezogen – zum einen als Eignungskriterium gefordert werden. Zum anderen können Erfahrungen und Referenzen – sofern aus diesen auftragsbezogene Aussagen abgeleitet werden – auch Bezugspunkt eines Zuschlagskriteriums sein. Das hat die Vergabekammer Baden-Württemberg entschieden.
VgV §§ 7, 46 Abs. 3, 58 Abs. 2
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb Verkehrsplanungsleistungen und Projektmanagementleistungen für die Projektphase II zur Errichtung einer regionalen Mobilitätsplattform in einem Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb aus. Grundlegende Verkehrsplanungsleistungen für die Projektphase I waren in einem vorangegangen Vergabeverfahren ausgeschrieben und zwischenzeitlich erbracht worden. Der in der Projektphase I erfolgreiche Bieter sollte den Zuschlag auch für die Leistungen der Projektphase II erhalten. Vor diesem Hintergrund rügte ein anderer Bieter eine vermeintliche Vorbefassung. Aufgrund der Beteiligung in der Projektphase I habe dieser einen Informationsvorsprung, der gegenüber den weiteren Bietern nicht ausgeglichen worden sei. Des Weiteren vermische der Auftraggeber unzulässig Eignungs- und Zuschlagskriterien, weil die berufliche Erfahrung und Referenzen des vorgesehenen Projektteams sowohl auf der Eignungs- als auch auf der Zuschlagsstufe bewertet werden.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für zulässig. Hervorzuheben ist dabei insbesondere, dass die Rüge der unzulässigen Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien nach Ansicht der Vergabekammer nicht präkludiert war, weil für einen durchschnittlichen Bieter ein möglicher Vergaberechtsverstoß nicht erkennbar sei. Insofern trat die Vergabekammer der bisherigen Rechtsprechung des OLG Karlsruhe entgegen, die allerdings noch zur alten Rechtslage erging (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.11.2014 – 15 Verg 6/14). Der Vergabesenat des OLG Karlsruhe hatte seinerzeit entschieden, dass eine Erkennbarkeit vorliege, wenn ein Thema seit langer Zeit Gegenstand vergaberechtlicher Rechtsprechung und bereits – über die juristischen Fachkreise hinaus – geführter öffentlicher Diskussionen und Hinweise sei. Genau dies sei bei der Vermischung von Zuschlags- und Eignungskriterien mittlerweile der Fall (in derselben Weise entschied zuvor das OLG München, Beschl. v. 25.07.2013 – Verg 7/13).
Die Ausnahmevorschriften nach § 58 Abs. 2 VgV und § 46 Abs. 3 VgV lassen nach Ansicht der Vergabekammer nunmehr jedoch neue, komplizierte Rückausnahmen zu. Deshalb sei die Rechtslage jedenfalls nicht mehr allein durch Gesetzeslektüre zu erfassen. Eine vergaberechtlich zutreffende Einschätzung könne von einem Bieter daher nicht erwartet werden.
Allerdings sah die Vergabekammer die Rüge der unzulässigen Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien als unbegründet an. Ein allgemeines Doppelverwertungsverbot existiere nicht. Dafür geben weder der Wortlaut noch die Gesetzesbegründung etwas her. Auch die Systematik spreche für dieses Ergebnis. Denn § 46 Abs. 3 Nr. 6 VgV untersage eine Doppelberücksichtigung ausdrücklich nur in einem hier nicht einschlägigen Teilaspekt. Im Umkehrschluss folge, dass eine Doppelberücksichtigung ansonsten zulässig sei. Abgesehen davon sei bereits zweifelhaft, ob es sich überhaupt um eine Doppelberücksichtigung handele. Schließlich prüfte der Auftraggeber einerseits strikt die Eignung des Projektteams und des Planungsbüros und wertete als Zuschlagskriterium ausschließlich konzeptionelle und auftragsbezogene Aussagen, die ihren Ausgangspunkt in Erfahrungen des Projektteams nehmen sollten.
Ob eine Vorbefasstheit nach § 7 VgV vorlag, konnte die Vergabekammer nicht abschließend beurteilen. Zum einen seien Wissensvorsprünge nur pauschal von der Antragstellerin behauptet worden. Zum anderen konnten sich die in Bezug genommenen Wissensvorsprünge, die sich auf konkrete Leistungsziffern bezogen, definitiv preislich nicht entscheidend auswirken. Ein Schaden im Sinne einer Chancenverschlechterung könne dem Bieter daher nicht entstanden sein. Ein Schaden bzw. eine eigene Rechtsverletzung setze das Nachprüfungsverfahren als subjektives Rechtsschutzverfahren allerdings zwingend voraus.
Praxistipp
Bemerkenswert ist die Entscheidung insbesondere deshalb, weil sie von der bisherigen Rechtsprechung des OLG Karlsruhe und des OLG München zur rechtlichen Erkennbarkeit der unzulässigen Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien abweicht. Durch die neue, kompliziertere Rechtslage ist eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien nach Ansicht der Vergabekammer für einen Bieter nicht durch bloße Gesetzeslektüre erkennbar. Da die Vergabekammer Südbayern vor kurzem in derselben Weise entschieden hat (Beschl. v. 02.04.2019 – Z3-3-3194-1-43-11/18), ist eine neue Tendenz in der vergaberechtlichen Rechtsprechung festzustellen.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
Ich finde es bemerkenswert einen solchen Satz zu lesen: „Durch die neue, kompliziertere Rechtslage…“
Da wird in Schaufensterreden stets und immer erklärt, dass das Vergaberecht einfacher werden soll und gemacht wird genau das Gegenteil….