Durch die positive Eignungsprüfung seitens des Auftraggebers wird zu Gunsten des Bieters ein Vertrauenstatbestand geschaffen. Danach darf der Bieter darauf vertrauen, dass der Auftraggeber seine Eignung nicht auf Grund gleichbleibender tatsächlicher Grundlagen später abweichend beurteilen wird. Diese sich nun auch durch das OLG Karlsruhe verfestigende Spruchpraxis ist kritisch zu hinterfragen. Trotz Verwendung einer uneingeschränkten Formulierung, dürfte das OLG Karlsruhe mit der Entscheidung, dass Auftraggeber im laufenden Vergabeverfahren berechtigt sind, alle Bestandteile der Vergabeunterlagen, insbesondere Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien, Unterkriterien und Gewichtungen zu ändern, lediglich Verhandlungsverfahren im Blick gehabt haben, bei welchen zum Zeitpunkt einer Anpassung noch keine Erstangebote eingegangen sind. Die Aussage ist daher kaum verallgemeinerungsfähig und restriktiv anzuwenden.
§§ 8, 17, 42 Abs. 2 Satz 1, 51, 52 Abs. 1 VgV
Sachverhalt
Gegenstand der Entscheidung war die vielbeachtete Vergabe der Rahmenvereinbarung für die sogenannte Bezahlkarte für Flüchtlinge im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb (siehe hierzu auch Vergabeblog.de vom 30.09.2024, Nr. 57533). Dem Nachprüfungsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde, welcher von uns auf die Punkte reduziert wurde, welche für die zwei hier diskutierten Aspekte der Entscheidung von Relevanz sind:
Aus der Auftragsbekanntmachung, dort Ziff. 5.1.9, ergaben sich diverse geforderte Eignungsnachweise, u.a. Referenzanforderungen für den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit. Nach Eingang und Prüfung der Teilnahmeanträge wurden u.a. die Beigeladene und die Antragstellerin zur Angebotsabgabe aufgefordert.
In Anlehnung an das Vorgehen bei sonstigen Bieterfragen, übermittelte die Antragsgegnerin noch vor Ablauf der Angebotsfrist einen ergänzten Bieterfragenkatalog, mit welchem klarstellende Hinweise erteilt wurden. Durch dieselben wurde eine Anpassung in der Leistungsbeschreibung vorgenommen, welche die Erfüllung der Anforderung einer Ermöglichung von SEPA-Lastschriften und
Überweisungen auch durch eine funktional gleichwertige Lösung erlaubt, welche einmalige und
wiederkehrende Verpflichtungen der Leistungsberechtigten gegenüber Dritten erfüllt.
Mit Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht für den Zuschlag vorgesehen sei. Die Antragstellerin rügte daraufhin u.a. den rechtswidrig mangels Eignungsnachweis unterbliebenen Ausschluss der Beigeladenen, sowie die intransparente Änderung der Vergabeunterlagen durch die Antragsgegnerin.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag insgesamt zurück. Der Antragssteller verfolgte seine Rügen mit der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde weiter und beantragte die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung gem. § 173 Abs. 1 S. 3 GWB.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg. Der hiesige Beschluss befasst sich lediglich mit der beantragten Verlängerung der aufschiebenden Wirkung; dem Interesse an einem zügigen Abschluss des Vergabeverfahrens wurde wegen geringer Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde, das überwiegende Gewicht beigemessen.
Die sofortige Beschwerde sei nach summarischer Prüfung zwar zulässig jedoch unbegründet.
Der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen mangels Eignungsnachweis scheide schon aufgrund des durch die Aufforderung zur Angebotsabgabe im zweistufigen Verfahren eingetretenen Vertrauenstatbestands aus. Die Beigeladene müsse nach Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht mehr befürchten, dass der Aufwand, welcher ihr durch die Angebotserstellung und die Teilnahme am Wettbewerb entsteht, nutzlos wird, weil der Auftraggeber trotz unveränderter Sachlage nachträglich die Eignung der Beigeladenen negiert. Neben diesem – mit Verweis auf die diesbezügliche Entscheidungspraxis des BGH und der Vergabesenate belegten – Grundsatzes, sei auch ein etwaiger offengelassener Verstoß gegen die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes zulasten der Antragstellerin, der infolge des Zwangs zur Hinnahme des Vertrauenstatbestands entstehen könnte, hier unbeachtlich; der Antragstellerin könne hierdurch jedenfalls kein Schaden entstanden sein. Denn sie sei ebenso wie die Beigeladene zur Angebotsabgabe aufgefordert worden; die Teilnahme der Beigeladenen habe der Antragstellerin die Abgabe eines wettbewerblich interessanten Angebots nicht erschwert.
Darüber hinaus liege keine intransparente Änderung der Vergabeunterlagen vor. Hierzu heißt es im Wortlaut der Entscheidung wie folgt:
Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, die Vergabeunterlagen im laufenden Vergabeverfahren zu ändern, sei es zur Korrektur von Vergaberechtsverstößen oder aus Gründen der Zweckmäßigkeit, sofern dies nur in einem transparenten Verfahren und diskriminierungsfrei geschieht. Die Änderungsbefugnis des Auftraggebers bezieht sich auf alle Bestandteile der Vergabeunterlagen, so die Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien, Unterkriterien und Gewichtungen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006 Az.: X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. September 2016 Az.: Verg 7/16).
Rechtliche Würdigung
Das OLG Karlsruhe trifft unabhängig von der Bedeutung des Vergabegegenstands regelmäßig rechtlich kontrovers diskutierte Entscheidungen. Aus Rechtsanwendersicht spannend an dieser Entscheidung sind nach hiesiger Auffassung insbesondere die zwei benannten Aspekte:
1. Vertrauenstatbestand nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs?
Zum einen bestätigt das OLG Karlsruhe, in Fortsetzung der betreffenden jüngeren Entscheidungspraxis der Vergabesenate erneut die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. Die der bisherigen Spruchpraxis hierfür zu entnehmenden Argumente erscheinen weiterhin dünn. So meinen wir, dass sich die Vergabesenate insbesondere mit folgenden Einwänden detaillierter auseinandersetzen müssten:
· Zunächst kann ein objektiv rechtswidriger Zustand nicht durch einen Vertrauenstatbestand perpetuiert werden. Dies würde bedeuten, dass ein Auftraggeber in Kenntnis des Eignungsmangels eines Bieters, der ggf. aufgrund einer (durch den Auftraggeber zu verantwortenden) mangelhaften Prüfung der Teilnahmeanträge erst nachträglich erkannt wird, entweder entgegen § 122 Abs. 1 GWB den Auftrag an ein ungeeignetes Unternehmen vergeben oder zum Zweck des Wiedereintritts in die Eignungsprüfung eine Teilaufhebung und Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Zeitpunkt der Prüfung der Teilnahmeanträge veranlassen müsste. Ersteres wäre grob rechtswidrig, Zweiteres pure Förmelei.
· In entsprechenden Fällen ist der betreffende Bieter (zuvor Bewerber) im Übrigen nicht schutzwürdig. Denn bei sorgfältiger Erstellung eines Teilnahmeantrags sollte erkannt werden, dass die Anforderungen an die Eignungsnachweise nicht erfüllt werden; es könnte je nach Formulierung der Eigenerklärungen zur Eignung sogar von der Begründung eines fakultativen Ausschlussgrundes gem. § 124 Abs. 1 Nr. 9 c GWB auszugehen sein, weil der Bieter ggf. in fahrlässiger Unkenntnis der Mindestanforderung an bspw. Referenzen unzutreffend behauptet, die angegebenen Referenzen würden die Mindestanforderungen erfüllen.
· Noch gravierender ist schließlich, dass die übrigen Bieter hierdurch einen vergaberechtlichen Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB erleiden, gegen welchen sie sich nicht zur Wehr setzen können. Dies wird vom OLG Karlsruhe in der hiesigen Entscheidung unzutreffend gewürdigt. Es erscheint selbstverständlich, dass sich die Zuschlagschance eines jeden Bieters verringert, wenn mehr Bieter zur Angebotsabgabe aufgefordert werden; muss ein Bieter sich nur gegen einen Wettbewerber durchsetzen, ist seine Zuschlagschance größer, als bei drei beteiligten Wettbewerbern.
Diesseits würde eine Abkehr von der bisherigen diesbezüglichen Spruchpraxis begrüßt. Der ggf. nachträglich mangels Eignung ausgeschlossene Bieter stünde hierdurch auch nicht schutzlos da. Dieser könnte sich aufgrund einer Verletzung der Schutzpflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis des Vergabeverfahrens, welche in der fehlerhaften Aufforderung zur Angebotsabgabe eines Auftraggebers zu erkennen sein dürfte, beim Auftraggeber für seine frustrierten Aufwendungen ggf. unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens beim Auftraggeber schadlos halten.
2. (Grenzenlose) Freiheit im Verhandlungsverfahren?
Zum anderen beachtenswert ist die Feststellung des OLG Karlsruhe, dass der Auftraggeber im laufenden Vergabeverfahren sämtliche Bestandteile der Vergabeunterlagen, so die Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien, Unterkriterien und Gewichtungen ändern dürfe. Dies ist in der formulierten Pauschalität ersichtlich falsch, wenngleich die Entscheidung auch als Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats vom 21.05.2021 15 Verg 4/21 erachtet werden könnte. Hier arbeitete der Vergabesenat zutreffend heraus, dass es gerade die Besonderheit des Verhandlungsverfahrens sei, dass der Angebotsinhalt nicht von vornherein feststehen müsse, sondern fortentwickelt, konkretisiert und verbessert werden könne, sofern es sich dabei nicht um unmissverständlich vorgegebene Mindestanforderungen handelt [Ott, Vergabeblog.de vom 31/01/2022, Nr. 48798].
Das OLG Karlsruhe verzichtet vorliegend auf eine Begründung für seine noch deutlich weitergehende Auffassung. Stattdessen verweist es auf zwei Entscheidungen (BGH, Beschluss vom 26.09.2006 X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.09.2016 Verg 7/16). Die aufgeführten Entscheidungen kommen in divergierender Deutlichkeit zu dem entsprechenden Ergebnis. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass beiden Entscheidungen Sachverhalte zugrunde lagen, welche nach altem, dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom Februar 2016 vorhergehenden Recht, zu entscheiden waren.
Problematisch erscheint in dieser Beziehung insbesondere der durch das OLG Karlsruhe nicht behandelte, der aktuellen Rechtslage zu entnehmende § 17 Abs. 10 S. 2 VgV. Hiernach sind Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien von Verhandlungen ausgeschlossen. Hieraus wird gemeinhin abgeleitet, dass jedenfalls nach Eingang der Erstangebote lediglich Präzisierungen, Konkretisierungen und Korrekturen von rechtswidrigen oder unpraktikablen Zuschlagskriterien zulässig sind (bspw. Hausmann/Mehlitz: Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß Kommentar zur VgV, 2. Auflage 2022, § 17 Rn. 21).
Im hier entschiedenen Fall wurde die Änderung der Leistungsbeschreibung jedoch – soweit dies aus dem Beschluss ersichtlich ist – vor Abgabe der Erstangebote vorgenommen; in diesem Stadium sind deutlich mehr Anpassungsmöglichkeiten für Auftraggeber zulässig und nach den vergaberechtlichen Regeln vertretbar als nach der Kenntnisnahme von den Erstangeboten der beteiligten Bieter und erst recht nach sich anschließenden Verhandlungsrunden. Die umfassenden Formulierungen, die sich aus der Entscheidung des OLG Karlsruhe ergeben, dürften darauf zurückzuführen sein, dass es auf die Feinheiten im entschiedenen Fall nicht ankam. Insofern darf dem Satz betreffend die (zu umfassende) Änderungsbefugnis keine übermäßige Bedeutung beigemessen werden.
Praxistipp
Auch zukünftig müssen Auftraggeber befürchten, dass sie nach erster positiver Beurteilung der Eignung eines Bewerbers, später keine abweichende Beurteilung auf Basis gleichbleibender Tatsachen erfolgen darf. In einem Nachprüfungsverfahren mag dies die Argumentation im Fall der Rüge der fehlenden Eignung der Zuschlagsprätendentin vereinfachen, die Folgen einer fälschlichen Feststellung der Eignung eines ungeeigneten Bieters sind gleichwohl fatal. Auftraggeber sollten Teilnahmeanträge deshalb umso eingehender prüfen (und bei Bedarf Aufklärungen/Nachforderungen vornehmen), um sich spätere Überraschungen zu ersparen.
Zum anderen ist die Entscheidung des OLG Karlsruhe für Auftraggeber kein Freifahrtschein für grenzenlose Änderungen der Leistungsbeschreibungen, Zuschlagskriterien, Unterkriterien und Gewichtungen. Die Entscheidung befasste sich ersichtlich nur mit Änderungen, die in Verhandlungsverfahren vor Abgabe der Erstangebote vorgenommen werden. Auch hier sind die Änderungsmöglichkeiten nicht grenzenlos; der Spielraum des Auftraggebers ist jedoch erheblich größer als nach Eingang der Erstangebote.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Alexander-M. Weßling verfasst.
Alexander-M. Weßling
Der Autor Alexander-M. Weßling ist Rechtsanwalt und als Associate in der Vergabepraxis der Kanzlei Lexton Rechtsanwälte in Berlin tätig. Er berät seit dem Jahr 2020 öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe- und zuwendungsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere im Bereich der Bauvergaben und übernimmt die Vertretung in Nachprüfungsverfahren sowie nachgelagerten gerichtlichen Streitigkeiten im Rahmen der vertraglichen Ausführungsphase. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und Beiträge in vergaberechtlichen Newslettern.
Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG
Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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