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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 07/02/2020 Nr. 43245

Neues zu Höchstmengen in Rahmenvereinbarungen – Anhängiges Vorabentscheidungsverfahren

Seitdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 19.12.2018 in der Rechtssache C-216/17 – “Antitrust und Coopservice” entschieden hat, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen eine Höchstmenge der abrufbaren Leistungen angeben muss (Vergabeblog.de vom 28/01/2019, Nr. 39655), wird eine rege Diskussion darüber geführt, wie die Entscheidung zu verstehen ist und wie die aufgestellten Anforderungen umzusetzen sind. Da die Entscheidung des EuGH zur alten Rechtslage erging, wird insbesondere immer wieder angezweifelt, dass die aufgestellten Grundsätze überhaupt für die derzeitige Rechtslage gelten (hierzu bereits mit einer Aufstellung der unterschiedlichen Positionen: Vergabeblog.de vom 09/01/2020, Nr. 42964).

Vorabentscheidungsersuchen vom 16. Januar 2020

Ganz aktuell hat nun am 16. Januar 2020 ein dänisches Gericht diese und weitere Fragen dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt (Aktenzeichen: C-23/20 – Simonsen & Weel). Es ist also in absehbarer Zeit mit einer Klärung bzw. weiteren Konkretisierung der bisher aufgestellten Grundsätze zu rechnen. Die zur Klärung vorgelegten Fragen lauten vereinfacht:

Erfordert die derzeitige Rechtslage bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen in der Vergabebekanntmachung oder den Vergabebedingungen eine maximale Menge und/oder einen maximaler Wert anzugeben?

– Falls ja, verliert die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung, wenn diese Menge erreicht ist?

– Falls ja, welche Folgen hat es, wenn der öffentliche Auftraggeber weder in der Bekanntmachung, noch in den Vergabeunterlagen eine Höchstmenge angibt? – Stellt dies einen Fall einer sogenannten „De – Facto – Vergabe“ nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB dar, so dass ein vergebener Auftrag ggf. unmittelbar unwirksam ist?

Übertragbarkeit (1. Vorlagefrage)

Die Beantwortung der ersten Vorlagefrage wird sicherlich mit großer Spannung erwartet. Dabei lässt die Formulierung des Vorlagebeschlusses des dänischen Gerichts vermuten, dass das Gericht eher von einer Geltung auch für die derzeitige Rechtslage ausgegangen ist. Dies würde auch mit den überwiegenden Argumenten in dieser Frage übereinstimmen. Denn grundsätzlich lassen sich fast alle Erwägungen des EuGH auf die derzeitige Rechtslage übertragen (zumindest ähnlicher Wortlaut der Richtlinie, inhaltliche Argumente des EuGH sind übertragbar – Transparenz und Missbrauchsgefahr). Auch das von der Gegenauffassung regelmäßig vorgetragene Argument, dass die aktuelle Richtlinie den „veranschlagten Gesamtwert“ nicht mehr als bekanntzumachende Angabe im Anhang V fordert, sondern stattdessen die „geschätzte Gesamtgrößenordnung des Auftrags“, erweist sich bei näherer Betrachtung als eher „schwach“.

Es ist bereits zweifelhaft, ob der europäische Gesetzgeber mit der neuen Richtlinie inhaltlichen Änderungen in den Regeln zur Bekanntmachung einführen wollte. Denn die Standardformulare zur Auftragsbekanntmachung, die nach Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU verbindlich sind, geben auch nach neuer Rechtslage den unveränderten Wortlaut der alten Richtlinie wieder. So enthalten die Standardformulare unter II.1.5.) Geschätzter Gesamtwert und unter II.2.6.) Geschätzter Wert in den Ausfüllerläuterungen weiterhin die Anforderung, bei Rahmenvereinbarungen einen Gesamtwert anzugeben:

Bei Rahmenvereinbarungen (…) – veranschlagter maximaler Gesamtwert über die Gesamtlaufzeit der Rahmenvereinbarung (…).

Erreichen der maximalen Abrufmenge (2. Vorlagefrage)

Sofern die erste Vorlagefrage mit „ja“ beantwortet wird, dürfte die zweite Frage relativ eindeutig ausfüllen. Denn dass die Rahmenvereinbarung vor dem Hintergrund des EuGH-Rechtsprechung ihre Wirkung verliert, wenn die angegebene Höchstmenge erreicht ist, dürfte mittlerweile ohnehin als „gesichert“ angesehen werden. Diese Rechtsfolge hat der EuGH bereits in der Entscheidung “Antitrust und Coopservice” angesprochen, wenn er dort feststellt, dass der Auftragnehmer nur bis zu einer bestimmten Menge verpflichtet werden könne und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliere, wenn diese Menge erreicht ist (Rn. 61). Wie sich die entsprechende Rechtsfolge in der Praxis auswirken kann, wird im Beschluss der VK Bund vom 29.07.2019 – VK 2-48/19 () besonders deutlich.

Vorliegen einer De – Facto – Vergabe (3. Vorlagefrage)

Insbesondere die letzte Vorlagefrage ist von besonderer Brisanz. Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Sollte das Fehlen der Angabe einer Höchstmenge tatsächlich in die Fallgruppe einer „De-Facto-Vergabe“ fallen, hätte dies einschneidende Folgen. Rahmenvereinbarungen, die ohne Angabe einer maximalen Abrufmenge vergeben worden sind, wären bei einer entsprechenden Feststellung in einem Nachprüfungsverfahren unmittelbar unwirksam.

Fazit

Mit einer Entscheidung des EuGH ist nicht vor Mitte diesen Jahres zu rechnen. Bis zu einer endgültigen Klärung sollten die bislang aufgestellten Grundsätze beachtet werden. Insbesondere sollten Vergabestellen vorsorglich Höchstmengen angeben und sicherheitshalber klarstellen, dass mit deren Erreichen die Rahmenvereinbarung endet. Zur Ermittlung der maximalen Abrufmenge bietet sich die ohnehin durchzuführende Auftragswertschätzung nach § 3 Abs. 4 VgV an. Der hier ermittelte Wert wird dann auch den unter II.1.5) der EU-Bekanntmachungsformulare anzugebenden „geschätzten Gesamtwert“ der Rahmenvereinbarung darstellen.

Wenn sich eine Überschreitung der festgelegten Mengen abzeichnet, finden die Regeln zur Auftragsänderung (§ 132 GWB) entsprechende Anwendung. Dies ergibt sich bereits aus § 103 Abs. 5 S. 2 GWB, wonach für Rahmenvereinbarungen grundsätzlich die Vorschriften für öffentliche Aufträge entsprechend gelten. Wenn eine Deckelung des Bedarfs im Einzelfall zu Schwierigkeiten beim Auftraggeber führt, stehen selbstverständlich auch Optionen und Überprüfungsklauseln zur Verfügung (§ 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB). Insbesondere die letztgenannten Instrumente ermöglichen ein hohes Maß an Flexibilität in der Beschaffung und werden in der Praxis noch zu selten genutzt.

Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Winkelmann verfasst.

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Fin Winkelmann, LL.M.

Fin Winkelmann, LL.M. ist Rechtsanwalt in der Sozietät Bird & Bird. Er berät seine Mandanten in allen Fragen des Vergabe-, Sozial-, Gesundheits- und Europarechts. In den genannten Bereichen berät er sowohl private Unternehmen als auch die öffentliche Hand und vertritt Mandanten in unterschiedlichsten vergaberechtlichen Verfahren und Angelegenheiten.

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Dr. Alexander Csaki

Dr. Alexander Csaki ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner in der Sozietät Bird & Bird. Als Partner der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht berät er hauptsächlich Mandaten im Gesundheitssektor, im Bereich Verkehr sowie Sicherheit- und Verteidigung, wobei vergabe-, sozial-, regulierungs- und europarechtliche Fragestellungen seine tägliche Praxis bestimmen.

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Eine Antwort zu „Neues zu Höchstmengen in Rahmenvereinbarungen – Anhängiges Vorabentscheidungsverfahren“

  1. Avatar von Christian Stetter
    Christian Stetter

    Die VK Bund hat sich dazu bereits positioniert (VK Bund, Beschluss vom 19.07.2019, Az.: VK 1-39/19):

    Ein Vergaberechtsverstoß, der dazu führen würde, dass die Ag das Vergabeverfahren zurückversetzen müsste, liegt jedoch nicht vor. So ist die Ag nicht verpflichtet, bei dieser Rahmenvereinbarung das maximale Abrufvolumen, den maximalen Auftragswert und die abzurufenden Höchstmengen anzugeben. Denn gemäß § 21 Abs. 1 S. 2 VgV muss ein öffentlicher Auftraggeber bei Rahmenvereinbarungen das in Aussicht genommene Auftragsvolumen nur so genau wie möglich ermitteln und bekannt geben, braucht dies aber nicht abschließend vorab festzulegen. Wenn wie in diesem Fall der tatsächliche Auftragsumfang einer Rahmenvereinbarung von Ereignissen abhängt, die der Auftraggeber nicht sicher vorhersehen und nicht beeinflussen kann (weil sie jedenfalls nicht vollständig in seiner Sphäre liegen, sondern wie hier von der Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen der Ag durch ihre Versicherten abhängen) genügt es, wenn der Auftraggeber so valide wie mögliche Erfahrungswerte zugänglich macht, die ihm bekannt sind und die er mit zumutbarem Aufwand ermitteln kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 21. Oktober 2015, Verg 28/14; und vom 7. Dezember 2011, Verg 96/11). Dies hat die Ag hier getan, indem sie den Bietern eine Liste zur Verfügung gestellt hat, aus der diese basierend auf den Erfahrungswerten der Ag der letzten Jahre die monatlichen Fallzahlen der einzelnen Bearbeitungsprozesse und die hierbei auftretenden Schwankungen ersehen konnten. Über weitere valide Daten verfügt die Ag nicht. Auch wenn weiterhin hinsichtlich des Auftragsumfangs erhebliche Kalkulationsrisiken bei den Bietern verbleiben, war die Vorgehensweise der Ag vergaberechtskonform (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 18. April 2012, Verg 93/11; und vom 20. Februar 2013, Verg 44/12).

    Dem steht auch nicht die von der ASt zitierte Entscheidung des EuGH vom 19. Dezember 2018 (Rs. C-216/17) entgegen. Art. 33 Abs. 1 UAbs. 2 der RL 2014/24/EU, der durch § 21 VgV in deutsches Recht umgesetzt wurde, verlangt ebenfalls nur, dass die in Aussicht genommene Menge vom Auftraggeber „gegebenenfalls“ im Vorhinein festgelegt werden muss. Das o.g. Urteil des EuGH ist bereits deshalb nicht auf dieses Verfahren übertragbar, weil es ausdrücklich zur alten Rechtslage nach der RL 2004/18/EG erging (s. Rz. 47 dieser Entscheidung), die sich gerade in dem hier relevanten Punkt entscheidend geändert hat.

    So mussten Bekanntmachungen bei Rahmenvereinbarungen über Dienstleistungen nach dem früheren Recht u.a. die Angabe „des für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung veranschlagten Gesamtwerts der Dienstleistungen“ enthalten (s. Art. 36 Abs. 1 i.V.m. Anhang VII Teil A der RL 2004/18/EG). Demgegenüber verlangt das aktuelle Recht nur noch, dass der Wert oder die Größenordnung der zu vergebenden Rahmenvereinbarung „soweit möglich“ angegeben wird (Art. 49 i.V.m. Anhang V Teil C Nr. 10a) der RL 2014/24/EU).

    Unabhängig davon, dass die Bekanntmachungsregelungen in Anhang VII Teil A der RL 2004/18/EG auch schon nach früherem Recht nicht nur der schon damals gültigen Legaldefinition der Rahmenvereinbarung (vgl. Art. 1 Abs. 5 der RL 2004/18/EG) widersprach, sondern auch dem typischen Charakter einer Rahmenvereinbarung, bei der die abzurufende Menge regelmäßig noch nicht bei der Auftragsvergabe feststeht (sonst könnte der Auftraggeber ohnehin bereits einen „normalen“ Dienstleistungsauftrag mit entsprechender Laufzeit ausschreiben), entspricht die Vorgehensweise der Ag jedenfalls der aktuellen EU-Rechtslage.

    Ob die aktuellen EU-Bekanntmachungsregeln verlangen, dass die Erfahrungswerte, die die Ag den Bietern erst in den Vergabeunterlagen mitgeteilt hat, bereits in der EU-Bekanntmachung anzugeben sind (laut ASt hätte hierzu ggf. ein link in der EU-Bekanntmachung gereicht, jedoch nicht der Verweis der Ag in Ziffer II.2.4 der EU-Bekanntmachung auf das „Mengengerüst“ als Anlage zum LV), ist hier nicht zu entscheiden. Selbst wenn dies zutreffen sollte, wäre die ASt durch diesen Vergaberechtsverstoß nicht in ihren Rechten verletzt, weil sie sich auch ohne die Bekanntmachung dieser Erfahrungswerte am Vergabeverfahren beteiligt hat. Auch sie selbst hat nichts dazu dargetan, inwiefern die vorherige Bekanntmachung des „Mengengerüsts“ ihre Zuschlagsaussichten verbessert hätte.