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Wann gilt das Informationsfreiheitsgesetz? Eine wichtige und spannende Frage – nicht nur für die Möglichkeit der Akteneinsicht bei öffentlichen Ausschreibungen (s. hierzu Beitrag im Vergabeblog), sondern auch bei dem Problem, ob Bundesministerien Akteneinsicht mit der Begründung verweigern dürfen, dass die gewünschten Unterlagen „das Regierungshandeln” betreffen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat am 03.11.2011 in zwei Grundsatzurteilen hierzu folgendes entschieden:
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§§ 1 IFG, § 14 Abs.3 VOL/A 2009 Im Rahmen der “Fachtagung IT-Beschaffung” Mitte September in Berlin wurde eine interessante Frage aufgrund einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom Mai diesen Jahres diskutiert: hat der Bieter nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ein Akteneinsichtsrecht bei öffentlichen Vergabeverfahren? Der Vorteil liegt auf der Hand: Akteneinsicht wäre auch bei nationalen Verfahren, also unterhalb des Schwellenwertes (VOL/A: 193.000,- € netto/VOB/A: 4.845.000,- € netto), möglich. Aber auch bei EU-weiten Verfahren hätte man eine Alternative zum – oft nicht gewünschten – Klageweg, da hier erst ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer dem Bieter Akteneinsicht gewährt.
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§ 20 VOL/A Im Rahmen der VOL/A 2009 werden bei § 20 VOL/A und § 24 VOL/A EG hohe Anforderungen an die Dokumentation gestellt. Das Vergabeverfahren ist „von Anbeginn an fortlaufend zu dokumentieren“. Strittig ist, ob ein Nachschieben von Gründen, also eine Nachbesserung des Vergabevermerks, nach Abschluss des Verfahrens zulässig ist. Der BGH hat erst im Februar unter bestimmten Voraussetzungen eine Heilung im Nachprüfungsverfahren im Rahmen von § 24 VOL/A EG bejaht (BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 04/10). Die VK Lüneburg hat nun aktuell entschieden, dass ein Nachschieben von Gründen nach Abschluss des Vergabeverfahrens oder im Nachprüfungsverfahren nicht zulässig ist.
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§ 101 a GWB, § 29 Abs.4, 5 SektVO Teststellungen bei IT-Vergaben geben häufig Anlass für Streitigkeiten. Die Teststellung im EDV-Bereich ist einer Bemusterung gleichzusetzen, die eine Bietererklärung nach § 16 Abs. 3 EG VOL/A darstellt (VK Sachsen, Beschluss v. 19.05.2009, 1/SVK/008-09). Eine fehlgeschlagene Teststellung kann einen Ausschlussgrund nach § 19 Abs. 3 EG VOL/A darstellen. Der Auftraggeber hat somit insbesondere bei komplexen IT-Vergaben ein legitimes Interesse an Probeläufen, um die vom Bieter angebotene Leistung zu überprüfen. Das OLG München (Beschluss v. 12.05.2011 – Verg 26/10) hat im Rahmen einer IT-Vergabe im Bereich der Sektorenverordnung entschieden, dass eine fehlgeschlagene Teststellung trotz unstrittig unterbliebener Vorabinformation einen zwingenden Ausschlussgrund darstellt. Denn: Nur wenn der Antragssteller bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren eine Zuschlagschance hat oder gehabt hätte, könne er sich auf eine Verletzung im Rahmen von § 101 a GWB berufen.
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Nach der Reform ist vor der Reform – die nächste Änderung der Vergabeverordnung steht an, kaum, dass die letzte Änderung am 12. Mai 2011 in Kraft getreten ist (Vergabeblog vom 24. Mai 2011): Künftig sollen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge grundsätzlich nur Beschaffungen getätigt werden, die im Hinblick auf die Energieeffizienz das höchste Leistungsniveau aufweisen und zur höchsten Effizienzklasse gehören – ein erheblicher Einschnitt in die Beschaffungsautonomie der Vergabestelle.
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Mit der VOL/A 2009 wurde bei der Öffnung der Angebote in § 14 Abs. 2 VOL/A und § 17 Abs. 2 VOL/A EG das „Vieraugenprinzip“ eingeführt. § 14 Abs. 2 VOL/A 2009 bzw. § 17 Abs. 2 VOL/A EG 2009 bestimmen: “Die Öffnung der Angebote wird von mindestens zwei Vertretern des Auftraggebers gemeinsam durchgeführt und dokumentiert.” Bisher war in § 22 Nr.2 Abs.2 VOL/A a.F. (2006) nur geregelt, dass zur Öffnung der Angebote neben dem Verhandlungsleiter ein weiterer Vertreter des Auftraggebers anwesend sein muss. Die gemeinsame Durchführung und Dokumentation war nicht gefordert. Die VK Sachsen (Beschluss v. 17.12.2010 – 1/SVK/045-10) hat aktuell entschieden, was die Vergabestelle bei Öffnung der Angebote im Rahmen der VOL/A 2009 konkret beachten muss. Dabei stellt die Vergabekammer klar, dass auch bei § 17 Abs. 2 VOL/A EG hohe Maßstäbe an das Dokumentationserfordernis der Vergabestellen gestellt werden:
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Ein äußerst strittiges Thema: die Zulassung und Wertung von Nebenangeboten, wenn der niedrigste Preis das einzige Wertungskriterium ist. Seit 2010 zeichnet sich die Tendenz ab, Nebenangebote in diesem Fall nicht zuzulassen (OLG Düsseldorf Beschluss v. 07.01.2010, Verg 61/09, Beschluss v. 18.10.2010 Verg 39/10). Andere Oberlandesgerichte halten einen Zuschlag auf Nebenangebote auch im reinen Preiswettbewerb für zulässig (OLG Celle 03.06.2010, 13 Verg 6/10, OLG Koblenz, 26.07.2010, 1 Verg 6/10). Das OLG Brandenburg (Beschluss v. 07.12.2010 – Verg W 16/10) deutet in einer aktuellen Entscheidung an, endlich Klarheit schaffen zu wollen: Wegen der divergierenden Rechtsprechung der Vergabesenate sei zu erwägen, die Rechtsfrage zur Zulässigkeit von Nebenangeboten bei reinem Preiswettbewerb dem Bundesgerichtshof oder dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Hier müsse über die Auslegung der maßgebenden Richtlinien Art. 36 Abs.1 2004/17/EG und Art. 24 Abs.1 2004/18/EG im Hinblick auf die Zulässigkeit bei Nebenangeboten im Preiswettbewerb entschieden werden.
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Immer wieder ein beliebtes Mittel, um bei nationalen Ausschreibungen unterhalb des Schwellenwertes (VOL/A 193.000,- € netto/VOB/A 4.845.000,- € netto) den Bieterkreis einzugrenzen: man sucht sich die geeignete Ausschreibungsplattform, veröffentlicht dort die Ausschreibung und erreicht so gezielt die „gewünschten“ Unternehmen. Für die Bekanntmachung in Internetportalen wurde diesem Vorgehen nun eine klare Absage erteilt: Die VK Südbayern (Beschluss v. 25.06.2010 – Z3-3-3194-1-30/05/10) hat entschieden, dass eine nationale Veröffentlichung einer Ausschreibung ausschließlich auf der eigenen Homepage grundsätzlich gegen das Transparenzgebot nach § 97 Abs.7 GWB verstößt.
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Endlich gibt es eine aktuelle Entscheidung zu einer der wichtigsten neuen Regelungen in den Vergabeordnungen: Die Vergabekammer (VK) Nordbayern hat entschieden, dass in den Vergabeunterlagen geforderte Nachweise oder Erklärungen nach der neuen Regelung in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 auch noch nach Angebotsabgabe vom Bieter vorgelegt werden können. Ein Ausschluss des Bieters wegen fehlender Unterlagen ist nicht – mehr – gerechtfertigt.
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Ein Gerichtsgutachten stellt oft die Weichen im Rechtsstreit. Aber leider arbeitet nicht jeder sachverständige Gutachter sorgfältig. Dies musste die Antragsstellerin in dem vom OLG Celle entschiedenen Fall feststellen und hat sich erfolgreich dagegen gewehrt (Beschluss v. 25.05.2010, 13 Verg 7/10). Gegenstand der Ausschreibung war die Erstellung einer Software für eine Einsatzleitzentrale. Im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Niedersachsen sollte der Sachverständige gemäß Beweisbeschluss Stellung nehmen, ob die Angebote der Antragsstellerin und der Beigeladenen von den Vorgaben der Ausschreibung abweichen. Der Sachverständige übernahm in seinem Gutachten nicht nur ungeprüft die Angaben der Vergabestelle, sondern wertete – ungefragt – den Ausschluss der Antragsstellerin als gerechtfertigt.