Wir erinnern uns: Am 13.1.2009 einigte sich der Koalitionsausschuss im Kanzleramt auf das Konjunkturpaket II, darin enthalten: Die “Beschleunigung von Investitionen durch Vereinfachung des Vergaberechts”, im wesentlichen durch stark angehobene Schwellenwerte für Beschränkte Ausschreibungen und Freihändige Vergaben. Die Maßnahme war befristet für zwei Jahre und endet dementsprechend am 31.12. dieses Jahres. Eigentlich.
Die Kommunalen Spitzenverbände hatten bereits Ende Juli eine Stellungnahme zur Fortführung der vergaberechtlichen Vereinfachungen sowohl an Minister Brüderle, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), als auch an Minister Dr. Ramsauer, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS) gerichtet. Wie es die Spatzen in Berlin nun von den Dächern pfeifen, ist man im BMVBS bereits guter Dinge hinsichtlich einer Verlängerung der Maßnahmen, im BMWi grübelt man zumindest noch.
“Diese Neuregelungen sind in der kommunalen Vergabepraxis überwiegend positiv aufgenommen worden”, hieß es seinerzeit vom Deutschen Städte und Gemeindebund (DStGB). Die Frage ist nur: Jenseits der guten Erfahrungen – auf was lässt sich eine Verlängerung der vergaberechtlichen Erleichterungen über 2010 hinaus stützen?
Im entsprechenden Rundschreiben des BMWi vom 29.01.2009 zur Einführung der vergaberechtlichen Erleichterungen heißt es
“Angesichts der drohenden konjunkturellen Lage ist von einer Dringlichkeit investiver Maßnahmen auszugehen, die eine solche Ausnahme rechtfertigt.”
Richtig. Nur haben sich die Zeiten seit dem Gott sei Dank geändert. So titele (u.a.) die Frankfurter Rundschau am 14.08.2010 hocherfreut
“Ein kleines Wirtschaftswunder”
angesichts des seit der Wiedervereinigung stärksten Wirtschaftswachstums von 2,2 %. Und am 24.08.2010 wurde Brüderle in einer Pressemitteilung seines Ministeriums mit den Worten zitiert:
“Die Erholung hat die deutsche Wirtschaft in ihrer vollen Breite erfasst.”
Eine Rechtfertigung der Verlängerung der vergaberechtlichen Maßnahmen über 2010 hinaus mit der Notwendigkeit einer konjunkturellen Stütze erscheint also mehr als abwegig. Eine jeweils in der Sache unterschiedliche Entscheidung von BMWi und BMVBS aber auch.
Aber es läuft auch noch eine Studie der Wegweiser GmbH Berlin Research & Strategy, im Auftrag des BMWi zur “Evaluierung der Vereinfachungsmaßnahmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nach dem Konjunkturpaket II”. In deren Rahmen wird u.a. untersucht, ob die veränderten Regelungen zu einer Optimierung der Vergaben geführt haben und welche Impulse daraus, z. B. für Gesetzgebungsverfahren des Bundes, folgen können. Die Studie ist allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen. Vielleicht waren die bisherigen Ergebnisse – Erhebungen bei betroffenen Behörden, Verbänden, Unternehmen und Freiberuflern – aber auch so eindeutig, dass sie bereits jetzt eine Verlängerung der Vereinfachungsmaßnahmen rechtfertigen. Überprüfen können wird man es leider nicht – die Studienergebnisse werden nicht öffentlich sein. Wozu auch, betreffen diese ja nur die Verwendung öffentlicher Gelder.
Eine Entscheidung über die Verlängerung der vergaberechtlichen Erleichterungen ist mit Blick auf den Kalender so oder so in Kürze zu erwarten. Freuen dürfte eine positive Entscheidung aber nicht nur die kommunalen Spitzenverbände, sondern auch die (guten) Vertriebler. So wurde mir von einem solchen folgendes wörtliche Zitat eines Beschaffers nach Erlass der für den Liefer- und Dienstleistungsbereich auf 100.000 Euro heraufgesetzten Schwellenwerte kundgetan: “Wie viele Drucker bekomme ich für 100.000 Euro?” Auch eine Möglichkeit.
Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser – verlängern oder nicht?
Der Autor, Marco Junk, ist Rechtsanwalt und Bereichsleiter Vertrags- und Vergaberecht beim BITKOM, Berlin. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.
Marco Junk
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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