Der EuGH hatte über die Rechtsfrage zu entscheiden, ob im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten mit Bussen in den Vergabeunterlagen vorgeben werden kann, dass der mit der Dienstleistung betraute Betreiber max. 30 % der Leistung (gemessen an den Fahrplankilometern) an Subunternehmer vergeben darf, das heißt im Ergebnis 70 % der Leistungen selbst erbringen muss.
Richtlinie 2004/17/EG Art. 1 Abs. 3 b; Richtlinie 2004/18/EG Art. 1, 7, 20,25, Anhang II Teil A; Richtlinie 2014/24/EU Art. 90 Abs. 1 Satz 1, Art. 91 Abs. 2; Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 Art. 1, 2, 3, 4,5
Leitsatz
Sachverhalt
Der EuGH musste sich auf ein Vorabentscheidungsersuchen der Vergabekammer Südbayern nach Art. 267 AEUV hin mit der Rechtsfrage befassen, ob der zuständige Aufgabenträger als öffentlicher Auftraggeber im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten mit Bussen in den Vergabeunterlagen verpflichtend vorgeben kann, dass der mit der Dienstleistung betraute Betreiber max. 30 % der Leistung (gemessen an den Fahrplankilometern) an Subunternehmer vergeben darf, das heißt im Ergebnis 70 % der Leistungen selbst erbringen muss.
Gegen eine derartige Vorgabe in den Vergabeunterlagen einer Ausschreibung für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen hatte sich ein privates Busunternehmen gewandt, das weniger als 70 % der Busverkehrsleistungen mit eigenen personellen und sachlichen Ressourcen erbringen wollte. Das klagende Busunternehmen machte geltend, dass die Beschränkung des zulässigen Einsatzes von Subunternehmern mit der Richtlinie 2004/18/EG (mittlerweile Richtlinie 2014/24/EU) unvereinbar sei. Art. 4 Abs. 7 der VO (EG) Nr. 1370/2007 sehe zwar in der Tat die Beschränkung von Unteraufträgen vor, doch finde diese Verordnung im Ausgangsverfahren wegen ihres Art. 5 Abs. 1 keine Anwendung.
Von Seiten der beklagten öffentlichen Auftraggeber wurde dagegen die Rechtsauffassung vertreten, dass Art. 4 Abs. 7 der VO (EG) Nr. 1370/2007 auch im Rahmen von Auftragsvergaben nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 1370/2007 i.V.m. der allgemeinen Vergaberichtlinie 2004/18/EG gelte, da in diesem Fall nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 1370/2007 nur die Absätze 2-6 [dieses] Artikels nicht anwendbar seien, die übrigen Bestimmungen der Verordnung und insbesondere ihr Art. 4 Abs. 7 jedoch auf solche Aufträge anwendbar blieben.
Zur Klärung dieser Rechtsfrage legte die Vergabekammer Südbayern dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor, die im Kern das Verhältnis der Vorschriften der VO Nr. 1370/2007 einerseits und der Vorschriften der allgemeinen vergaberechtlichen Richtlinie 2004/18/EG (mittlerweile Richtlinie 2014/24/EU) andererseits betreffen.
Die Entscheidung
Formal stellt der EuGH zunächst fest, dass die Vergabekammer Südbayern als vorlagefähiges Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV einzustufen ist. Ferner stellt der EuGH fest, dass für die Beurteilung im vorgelegten Fall noch die alte vergaberechtliche Richtlinie 2004/18/EG maßgebend sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sei grundsätzlich diejenige Richtlinie anwendbar, die zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des Verfahrens auswählt, das er anwenden wird, und endgültig darüber entscheidet, ob für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags die Verpflichtung zu einem vorherigen Aufruf zum Wettbewerb besteht.
In der Sache bestätigt der EuGH die Auffassung der beklagten öffentlichen Auftraggeber und beantwortet die ersten beiden Vorlagefragen zusammengefasst dahingehend, dass Art. 5 der VO Nr. 1370/2007 dahin auszulegen ist, dass bei der Vergabe eines Auftrags für den öffentlichen Personenverkehr mit Bussen Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 auf den Auftrag anwendbar bleibt.
Dies gilt, so der EuGH, auch für die Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten mit Bussen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der VO Nr. 1370/2007, die nicht die Form einer Dienstleistungskonzession annehmen, sondern als öffentliche Dienstleistungsaufträge gemäß der Definition in der Richtlinie 2004/18/EG für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 1370/2007 gemäß den in jenen (allgemeinen vergaberechtlichen) Richtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben werden. Zur Begründung führt der EuGH aus, dass laut Art. 5 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 1370/2007 in diesen Fällen die Absätze 2 bis 6 [dieses] Artikels nicht anwendbar sind und in keiner anderen Bestimmung von Art. 5 oder der VO Nr. 1370/2007 die Tragweite der Ausnahme weiter ausgedehnt wird. Daraus folgert der EuGH, dass auch bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge gemäß der Richtlinie 2004/18/EG nur die Bestimmungen von Art. 5 Absätze 2 bis 6 der VO Nr. 1370/2007 nicht anwendbar sind, während die übrigen Vorschriften dieser Verordnung (unter anderem Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007) anwendbar bleiben.
Gemäß Art. 4 Abs. 7 Satz 1 der VO Nr. 1370/2007 ist
„in den Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen transparent […] anzugeben, ob und in welchem Umfang eine Vergabe von Unteraufträgen infrage kommt. Werden Unteraufträge vergeben, so ist der mit der Verwaltung und Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten nach Maßgabe dieser Verordnung betraute Betreiber verpflichtet, einen bedeutenden Teil der öffentlichen Personenverkehrsdienste selbst zu erbringen.“
Demgegenüber heißt es in Art. 25 der Richtlinie 2004/18/EG: „In den Verdingungsunterlagen kann der öffentliche Auftraggeber den Bieter auffordern oder er kann von einem Mitgliedstaat verpflichtet werden, den Täter aufzufordern, ihm in seinem Angebot den Teil des Auftrags, den der Bieter gegebenenfalls im Wege von Unteraufträgen an Dritte zu vergeben gedenkt, sowie die bereits vorgeschlagenen Unterauftragnehmer bekannt zu geben. Die Haftung des hauptverantwortlichen Wirtschaftsteilnehmers bleibt von dieser Bekanntgabe unberührt.“
Beide Vorschriften beinhalten inhaltlich sehr unterschiedliche Regelungen für die Vergabe von Unteraufträgen. Unter Berufung auf den Zweck der VO Nr. 1370/2007 gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1, nämlich festzulegen, wie die zuständigen Behörden unter Einhaltung des [Unionsrechts] im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs tätig werden können, um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu gewährleisten, die unter anderem zahlreicher, sicherer, höherwertiger oder preisgünstiger sind als diejenigen, die das freie Spiel des Marktes ermöglicht hätte, stellt der EuGH zum Verhältnis der beiden Vorschriften fest, dass bei der Vergabe eines Auftrags für den öffentlichen Personenverkehrsdienst mit Bussen Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 als lex specialis Art. 25 der Richtlinie 2004/18/EG vorgeht.
Der EuGH führt weiter aus, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 den zuständigen Behörden in Bezug auf die Vergabe von Unteraufträgen für die Verwaltung und Erbringung eines öffentlichen Personenverkehrsdienstes ein weites Ermessen eingeräumt hat. Da es ihnen freisteht, die Vergabe von Unteraufträgen für einen öffentlichen Personenverkehrsdienst mit Bussen (vollständig) zu untersagen, schließe dies die Möglichkeit ein, die Vergabe von Unteraufträgen nur für einen Teil eines Auftrags zu verbieten. Allerdings gestatte Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO Nr. 1370/2007 angesichts der Verpflichtung des mit dem öffentlichen Personenverkehrsdienst mit Bussen betrauten Betreibers, einen bedeutenden Teil davon selbst zu erbringen, für den betreffenden Auftrag keine vollständige Übertragung an Unterauftragnehmer.
Ohne sich auf eine bestimmte prozentuale Größe festzulegen, was ein bedeutender Teil ist, beantwortet der EuGH die dritte Vorlagefrage, dass Art. 4 Abs. 7 der VO Nr. 1370/2007 dahin auszulegen ist, dass er einen öffentlichen Auftraggeber nicht daran hindert, einen Betreiber, der mit der Verwaltung und Erbringung eines öffentlichen Personenverkehrsdienstes mit Bussen wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden betraut ist, eine Selbsterbringungsquote von 70 % aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
Der EuGH musste sich in der Entscheidung mit dem sehr praxisrelevanten Thema der Vergabe von Unteraufträgen befassen und konkret darüber befinden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vergabestelle bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in den Vergabeunterlagen verpflichtende Vorgaben machen kann, dass ein Auftragnehmer die angebotenen Leistungen selbst erbringen muss und nicht an Unterauftragnehmer vergeben darf.
Die Entscheidung des EuGH ist in allen Punkten nachvollziehbar. Sie macht deutlich, dass sich die Rechtsgrundlagen für die Vergabe von Unteraufträgen im allgemeinen Vergaberecht (Art. 25 Richtlinie 2004/18/EG, nunmehr Art. 72 Richtlinie 2014/24/EU) deutlich von der speziell für die Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten geltenden Vorgabe in Art. 4 Abs. 7 VO Nr. 1370/2007 unterscheiden. Während es im allgemeinen Vergaberecht grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, dass ein Auftragnehmer sämtliche Leistungen an Unterauftragnehmer vergibt, schreibt die VO Nr. 1370/2007 für die Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten zwingend vor, dass der Auftragnehmer einen bedeutenden Teil der öffentlichen Personenverkehrsdienste selbst zu erbringen hat. Dogmatisch überzeugend hat der EuGH hergeleitet, dass speziell bei der Vergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten die Vorgaben des Art. 4 Abs. 7 VO Nr. 1370/2007 zur Selbsterbringung der Dienste als lex specialis zu beachten sind, und zwar ungeachtet davon, ob eine Dienstleistungskonzession oder ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag vergeben wird.
Praxistipp
Der EuGH konnte im vorliegenden Fall die in ÖPNV-Kreisen kontrovers diskutierte Frage offenlassen, ob auch noch eine Selbsterbringung von weniger als 50 % des Gesamtauftrags als ein bedeutender Teil im Sinne von Art. 4 Abs. 7 VO Nr. 1370/2007 angesehen werden kann. Mit einer Vorgabe in den Vergabeunterlagen, dass der Auftragnehmer mindestens 51 % der öffentlichen Personenverkehrsdienste selbst erbringen muss, ist der öffentliche Auftraggeber nach der Entscheidung des EuGH jedenfalls aber auf „der sicheren Seite“.
Die Autorin Dr. Beatrice Fabry ist Rechtsanwältin der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie berät seit vielen Jahren die öffentliche Hand und deren Unternehmen umfassend in allen Organisationsfragen sowie bei der Konzeption / Durchführung von Vergabeverfahren und Investorenwettbewerben.
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