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Berlin inside: Vergaberechtsreform noch mal von vorne?

bundestag Nein, es ist kein Aprilscherz (was beim Blick auf das Wetter durchaus denkbar wäre): Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP wurde auch das Vergaberecht als Betätigungsfeld entdeckt – wenige Monate nach Abschluss der fast 5jährigen Reform des GWB. Erste Gerüchte sorgten bereits letzte Woche für Unruhe im politischen Berlin, nun haben es sogar die Nachrichtenagenturen ddp und Reuters ganz offiziell vernommen: Union und FDP haben sich auf einen deutlichen Bürokratieabbau geeinigt. Belastungen durch Bürokratieaufwand sollten netto um 25 Prozent heruntergefahren werden, so Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Als Beispiel nannte zu Guttenberg und FDP-Vize Rainer Brüderle das Vergaberecht. Also doch das „einheitliche Vergabegesetzbuch“?

Der Vorstoß kommt, was durchaus überrascht, von Seite der FDP. Die ersten Entwürfe des (damals noch) Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit unter der Rot-Grünen Regierung sahen bereits im Frühjahr 2005 eine radikale Vereinfachung des Vergaberechts vor, insbesondere durch zumindest teilweise Abschaffung des Kaskadenprinzips aus GWB, VgV und Verdingungsordnungen (VOL, VOB, VOF). Diese Entwürfe waren jedoch umstritten, auch zwischen den Bundesressorts. Schröders vorgezogene Neuwahl im September 2005 besiegelte den Rest mit der Folge der bekannten „Modernisierung im bestehenden System“, d.h. unter Beibehaltung des Kaskadenprinzips – nach Ansicht Mancher ein Widerspruch in sich.

Statt radikaler Reform wurden die zwingenden Vorgaben der neuen EU-Vergaberichtlinien durch Änderungen der Verdingungsordnungen VOB/A, VOL/A und VOF sowie der VgV zum 1. November 2006 durch die „3. Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 23.10.2006“ in nationales Recht umgesetzt. Die eigentliche Vereinfachung der sowohl von Bietern als auch öffentlichen Beschaffern oft als intransparent und bürokratisch empfundenen Rechtsmaterie sollte in der sog. „2. Stufe“ der Reform erfolgen, die mit Inkrafttreten des neuen GWB am 24. April diesen Jahres ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Während vor wenigen Tagen, am 15. Oktober, die nunmehr ebenso novellierte Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) Teil A und B bekannt gemacht wurden, steht dies für die überarbeitete Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) noch aus. Grundlage derer war ein umfangreiches Gutachten des (inzwischen) Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zur Bürokratiekostenmessung öffentlicher Aufträge, besser bekannt unter dem Namen „Ramboll-Gutachten“. Danach erzeugt die öffentliche Beschaffung in Deutschland jährlich Bürokratiekosten in Höhe von 19 Mrd Euro, verteilt zu etwa gleichen Teilen auf Seite der Bieter wie auf Seite der Beschaffer.

Und nun also alles noch einmal zurück auf Start?

Sicher, ob es wirklich gelungen ist, einen nicht nur in Gutachten messbaren, sondern tatsächlich auch spürbaren Bürokratieabbau mit der bisherigen Reform zu erreichen, darf bezweifelt werden. Auch die weiche GWB-Reform ist in vielen Punkten dem Konsens der großen Koalition geschuldet. Wasser auf die Mühlen der Nochmal-jetzt-aber-richtig-Reformer kommt von vielen Seiten. Da wären die vergaberechtlichen Erleichterungen des Konjunkturpaktes II – befristet bis Ende 2010 – die schon jetzt aus Sicht der Kommunen als sich bewährt und daher am besten unbefristet diskutiert werden. Und da ist vor allem die neue Sektorenverordnung (SektVO) für die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung. Sie kam so ganz unpretenziös, fast lautlos daher – und vor allem ganz ohne Verdingungsauschüsse (DVA und DVAL) aus, deren Existenz angesichts dessen umso mehr in Frage gestellt wird.

Wirtschaftsexperte Brüderle hob hervor, in der neuen Bundesregierung werde der „Mittelstand Mittelpunkt deutscher Wirtschaftspolitik“ sein. Nun, gemessen daran ist eine erneute Reform des Vergaberechts in der Tat angebracht, denn (soviel ist mit Blick auf den VOL/A-Entwurf schon jetzt klar), wird es künftig in diesem Land drei verschiedene „Mittelstandsklauseln“ zur besonderen Berücksichtigung des Mittelstands im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe geben, eine im GWB, eine andere in der VOB/A und eine wieder andere in der VOL/A. Bürokratieirrsinn, erkennbar ganz ohne Gutachten.

Wenn also tatsächlich der Bürokratieaufwand auf Seiten der Wirtschaft deutlich gesenkt werden soll, und zudem bereits jetzt das Vergaberecht von der Koalition in spe als eines der hierfür vordringlich zu reformierenden Rechtsgebiete zitiert wird, dann wird dies kaum mit einer erneuten Light-Reform geschehen können. Dann bleibt nur das einheitliche Vergabegesetzbuch. Dies würde zweifelsohne auch das Ende der Verdingungsausschüsse DVA und DVAL bedeuten. Auch wenn diese immer wieder für die Verzögerungen der aktuellen Reform verantwortlich gemacht werden, sie allein sichern durch ihre Besetzung mit Auftraggebern wie Auftragnehmern die Praxistauglichkeit der Regelungen, was kein Gutachten zu ersetzen vermag.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich laut ddp zufrieden mit dem bisherigen Fortgang der Koalitionsverhandlungen. „Die Stimmung ist gut“, sagte die Kanzlerin laut Nachrichtenagentur. Die endgültigen Entscheidungen würden aber erst in der nächsten Woche getroffen, „nicht mehr an diesem Wochenende“. Die große Koalitionsrunde tritt erst Mittwoch wieder zusammen

Es bleibt also spannend. Für uns vom Vergabeblog würde dies ein weiteres aufregendes Jahr bedeuten. Zweifellos optimistisch geschätzt, was den Zeithorizont eines Endes der Endlos-Reform betrifft. Also, bleiben Sie uns treu – Sie wissen ja, hier lesen Sie´s zuerst.

Nachtrag: Inzwischen haben sich in einer „Gemeinsamen Erklärung“ die Spitzenverbände der (Bau-)Wirtschaft gegen die Pläne der Bundesregierung gewandt, das Vergaberecht völlig neu zu strukturieren. Sie finden die Erklärung hier.

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Über Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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