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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 24/07/2011 Nr. 10412

OLG München – Direktvergabe im ÖPNV nach VO (EG) 1370/2007 (Beschluss v. 22.06.2011, Verg 6/11)

ParagraphZur VO (EG) 1370/2007 (im folgenden: VO) über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße gab es für sowohl für den SPNV wie den ÖPNV in diesem Jahr einige Gerichtsentscheidungen von grundlegender Bedeutung, insbesondere den Beschluss des BGH vom 08.02.2011 – X ZB 4/10 zum SPNV und den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 02.03.2011 – VII Verg 48/10 zu Busverkehrsleistungen. Das OLG München hatte mit Beschluss vom 22.06.2011, Verg 6/11, ebenfalls zu einer Direktvergabe von Busverkehrsdienstleistungen zu entscheiden.

Ausgangslage

Die fragliche Kommune wollte den ÖPNV rekommunalisieren, d. h. nicht mehr wie bislang durch vertraglich gebundene private Verkehrsunternehmen als Subunternehmer ihrer Stadtwerke, sondern durch eine neu zu gründende 100-prozentige Tochtergesellschaft der Stadtwerke erbringen lassen.

Zu diesem Zweck unterzeichneten die Stadt und die Stadtwerke eine Betrauungsanweisung über die Durchführung des ÖPNV, wonach die zu gründende Tochtergesellschaft der Stadtwerke den Stadtbusverkehr durchführen sollte. Die frühere Auftragnehmerin der Stadtwerke für diese Leistungen wandte sich gegen diese Direktvergabe. Die Vergabekammer hatte die Stadt verpflichtet, die ÖPNV-Leistungen im Rahmen eines Vergabeverfahrens nach GWB, VgV und VOL/A zu vergeben.

Entscheidung des OLG München

Das OLG München hob diesen Beschluss der Vergabekammer auf. Es stellte fest, dass die von der Antragsgegnerin bisher durchgeführte Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 VO unwirksam und die Antragstellerin insoweit in ihren Rechten verletzt sei.

Nach Art. 5 Abs. 2 VO kann – unter den in den dort in lit. a) – e) genannten Voraussetzungen – jede zuständige örtliche Behörde, sofern dies nicht nach nationalem Recht untersagt ist, beschließen, selbst öffentliche Personenverkehrsdienste zu erbringen oder öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt an eine rechtlich getrennte Einheit zu vergeben, über die die zuständige örtliche Behörde eine Kontrolle ausübt, die der Kontrolle über ihre eigenen Dienststellen entspricht (sog. Direktvergabe).

Das OLG München verpflichtete die Antragsgegnerin anders als die Vergabekammer jedoch nicht, die Leistungen im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens nach GWB, VgV und VOL/A zu vergeben, sondern lediglich die Direktvergabe – sollte sie weiter verfolgt werden – im Einklang mit Art. 5 VO sicherzustellen.

a) Anwendungsbereich der VO

Das OLG München stellt zunächst in Übereinstimmung mit dem OLG Düsseldorf, a. a. O., fest, dass der Auftrag

  • entweder nach den Regeln des GWB, wenn es sich um einen Dienstleistungsauftrag (im Sinne des § 99 GWB) handelt,
  • oder nach den Regeln der VO zu vergeben ist, wenn es sich um eine Dienstleistungskonzession oder eine Inhouse-Vergabe handelt, Art. 5 Abs. 1 VO.

Art 5 VO

(1) Öffentliche Dienstleistungsaufträge werden nach Maßgabe dieser Verordnung vergeben. Dienstleistungsaufträge oder öffentliche Dienstleistungsaufträge gemäß der Definition in den Richtlinien 2004/17/EG oder 2004/18/EG für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen werden jedoch gemäß den in jenen Richtlinien vorgesehenen Verfahren vergeben, sofern die Aufträge nicht die Form von Dienstleistungskonzessionen im Sinne jener Richtlinien annehmen. Werden Aufträge nach den Richtlinien 2004/17/EG oder 2004/18/EG vergeben, so sind die Absätze 2 bis 6 des vorliegenden Artikels nicht anwendbar.

Das OLG München bestätigt damit ausdrücklich die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, a. a. O., dass auch eine Inhouse-Vergabe nach den bekannten EuGH-Kriterien („Teckal“ u. a.) kein Dienstleistungsauftrag im Sinne der Richtlinien 2004/18/EG bzw. 2004/17/EG (bzw. i. S. d. GWB) ist und damit nicht unter die aus der VO heraus führende Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO fällt. Bereits das OLG Düsseldorf, a. a. O., hatte entschieden, dass Inhouse-Vergaben im engeren und weiteren Sinn unter die VO fallen, soweit deren Anwendungsbereich i. Ü. eröffnet ist.

b) Art. 5 Abs. 2 VO als Spezialfall der Inhouse-Vergabe

Eine weitere Feststellung des OLG München ist, dass die Regelungen der Direktvergabe an einen internen Betreiber nach Art. 5 Abs. 2 VO einen Spezialfall der Inhouse-Vergabe darstellten, die den vom EuGH in ständiger Rechtsprechung entwickelten Inhouse-Kriterien im klassischen Vergabebereich vorgingen.

Für den Bereich der Inhouse-Vergaben (im engeren und weiteren Sinn) von Dienstleistungskonzessionen ist das unproblematisch. Diese fallen ohnehin nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2004/18/EG bzw. 2004/17/EG (bzw. GWB). Im Falle einer Direktvergabe sind damit nur die Voraussetzungen der VO zu erfüllen.

Für den Bereich der Inhouse-Vergaben (im engeren und weiteren Sinn) von Dienstleistungsaufträgen, die als Direktvergaben nach Art. 5 Abs. 2 VO vergeben werden sollen, ist nach der vom OLG Düsseldorf, a. a. O., entwickelten Systematik eine zweistufige Prüfung notwendig:

1. Zunächst ist nach der Rechtsprechung des EuGH („Teckal“ u. a.) anhand der diesbezüglichen „traditionellen“ Inhouse-Kriterien zu prüfen, ob eine Inhouse-Vergabe vorliegt. Ist das nicht der Fall, gelten die Richtlinien 2004/18/EG bzw. 2004/17/EG (bzw. das GWB), Art. 5 Abs. 1 S.2 VO. Dann kommt man also in den Anwendungsbereich der VO überhaupt nicht hinein.

2. Liegt nach diesen „Teckal“-Kriterien dagegen eine Inhouse-Vergabe vor, müssen für eine Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO die dort genannten Voraussetzungen zusätzlich erfüllt sein.

Diese notwendige Doppelprüfung – wie dargestellt nur erforderlich für Dienstleistungsaufträge im Sinne der Richtlinien 2004/18/EG bzw. 2004/17/EG (bzw. des GWB) – führt dann dazu, dass z. B. die Erleichterung des Kontrollerfordernisses in Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO für den Bereich der Direktvergabe von Dienstleistungsaufträgen im Sinne der Richtlinien 2004/18/EG bzw. 2004/17/EG (bzw. des GWB) keinen Anwendungsbereich mehr hat.

Nach diesem Kriterium des Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO ist das Kontrollerfordernis des AN durch den AG erfüllt, solange der AG nur einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, während nach den „traditionellen“ Inhouse-Kriterien im klassischen Vergaberecht jede private Beteiligung (also auch eine solche, die eine Beherrschung durch den AG unberührt lässt) am Auftragnehmer ein Inhouse-Geschäfts ausschließt.

Beauftragt ein AG also z. B. einen AN, auf den er zwar beherrschenden Einfluss im Sinne der VO hat, an dem aber auch ein privates Unternehmen beteiligt ist, im Wege eines Dienstleistungsauftrags im Sinne der Richtlinien 2004/18/EG bzw. 2004/17/EG (bzw. des GWB), greift Art. 5 Abs. 1 S. 2 VO und der Auftrag ist nach den Vorschriften des GWB zu vergeben.

c) Entsprechende Anwendbarkeit der Vergaberechtsschutzes nach §§ 102 ff. GWB auf die VO

Schließlich übernimmt das OLG München auch ausdrücklich den Standpunkt des OLG Düsseldorf, dass die §§ 102 ff. GWB, d. h. das Vergabenachprüfungsverfahren, für die Überprüfung geplanter oder erfolgter Direktvergaben nach der VO heranzuziehen sind. Entsprechendes gilt nach OLG Düsseldorf für Dienstleistungskonzessionen im Anwendungsbereich der VO.

Inhouse-Vergaben im ÖPNV-Bereich, z. B. Direkt-Vergaben nach Art. 5 Abs. 2 VO, sind daher – wie Dienstleistungskonzessionen – nur nach Maßgabe der besonderen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 ff. VO zulässig und gem. Art. 5 Abs. 7 VO (anders als im allgemeinen Vergaberecht) insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen vor der Vergabekammer und dem Vergabesenat nachprüfbar. Im allgemeinen Vergaberecht wird bei Vorliegen einer Inhouse-Vergabe bekanntlich das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags verneint, was in der Folge auch zur Nichtzuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen nach den §§ 102 ff. GWB führt. Die Regelungen für Inhouse-Vergaben im ÖPNV sind insoweit also strenger und vor allem nachprüfbar. Das ist zumindest das Ergebnis der Entscheidungen des OLG Düsseldorf, a.a.O., und des OLG München.

d) Zeitliche Anwendbarkeit der VO

Des Weiteren schließt sich das OLG München ausdrücklich der Auffassung des OLG Düsseldorf an, wonach die VO ab 03.12.2009 uneingeschränkt gilt, weil die Bundesrepublik Deutschland bisher keine Maßnahmen zur Umsetzung gem. Art. 8 Abs. 2 VO getroffen hat.

e) Anwendbarkeit des § 101 b) GWB im Anwendungsbereich der VO

Ohne weitere Begründung führt das OLG München aus, dass die Fristen nach § 101 b) Abs. 2 GWB für die Geltendmachung eines Verstoßes gegen die Verordnung heranzuziehen sind. Die unmittelbare Anwendbarkeit der § 97 ff. GWB, und damit auch des § 101 b) Abs. 2 GWB wären an sich nur gegeben, wenn es sich bei den zugrundeliegenden Auftrag um einen Dienstleistungsauftrag nach GWB handelt, auf den die VO gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 VO nicht anwendbar ist. Die Tatsache, dass das OLG München eine Inhouse-Vergabe und damit in Übereinstimmung mit dem OLG Düsseldorf die Eröffnung des Anwendungspreis des VO annimmt, lässt darauf schließen, dass § 101 b) offenbar entsprechend (genauso wie die Rechtsschutzvorschriften der §§ 102 ff GWB) anwendbar sein soll.

f) Zulässigkeit von Direktvergaben nach Art. 5 Abs. 2 VO in Bayern

Das OLG München nimmt auch kurz zu der Frage Stellung, ob eine Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO in Bayern überhaupt zulässig ist. Denn die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Direktvergabe „nicht nach nationalem Recht untersagt ist“. Das OLG München äußerst sich diesbezüglich dahingehend, dass im Gegensatz zu den Regelungen in Nordrhein-Westfalen das Gesetz über den ÖPNV in Bayern (BayÖPNVG http://by.juris.de/by/OePNVG_BY_1996_rahmen.htm) keine Vorschrift enthalte, wonach allen Verkehrsunternehmen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, sich zu vergleichbaren Bedingungen an der Ausgestaltung des ÖPNV zu beteiligen.

Auf Art. 8 BayÖPNVG geht das OLG München nicht ein. Art. 8 Abs. 1 Satz 3 BayÖPNVG enthält die Vorschrift, dass die Aufgabenträger sich für die Planung, Organisation und Sicherstellung des allgemeinen ÖPNV auch der privaten Verkehrsunternehmen bedienen sollen. Ein ungeschränktes Vorgehen über Direktvergaben nach Art. 5 Abs. 2 VO dürfte dieser Leitlinie nicht entsprechen.

Fazit

Auch nach der Entscheidung des OLG München bleiben zur Direktvergabe an interne Betreiber nach Art. 5 Abs. 2 VO Fragen offen. Besonders interessant dürfte die weitere Diskussion über die analoge Anwendbarkeit der § 102 ff. GWB auf Fälle aus dem Anwendungsbereich der VO werden, die Frage der Anwendbarkeit des § 101 b) GWB sowie die Frage des Verhältnisses der „traditionellen“ Inhouse-Kriterien zu den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 VO.

mathias_mantlerDer Autor Dr. Mathias Mantler ist Rechtsanwalt der Sozietät Kaufmann Lutz Rechtsanwaltsgesellschaft mbh, München. Er berät öffentliche Auftraggeber, Bieter und Bewerber in allen vergaberechtlichen Fragestellungen und Vergabeverfahren zu PPP-Projekten, Bau- und Infrastrukturvorhaben sowie Lieferungen und Dienstleistungen. Dr. Mantler unterrichtet das Vergaberecht im Rahmen von Masterstudiengängen an der TU München sowie der Hochschule Augsburg. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.

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Dr. Mathias Mantler

Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät LUTZ |ABEL Rechtsanwalts PartG mbB und seit über 20 Jahren im Vergaberecht tätig. Er hat seinen Schwerpunkt in der projektbegleitenden Beratung von Öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen im Zusammenhang mit Beschaffungsvorhaben insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Health Care, Forschung und Entwicklung sowie IT/Digitalisierung sowie in der Vertretung von Auftraggebern und Unternehmen in Vergabenachprüfungsverfahren. Zudem ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen im Vergaberecht und Dozent in vergaberechtlichen Seminaren und Lehrveranstaltungen.

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